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Alles hat seine Zeit

„Was, schon wieder 1. Mai?“ so höre ich die Leute um mich fragen. Immer wieder wird uns bewusst, wie schnell die Zeit verfliegt, wie sie uns zwischen den Fingern verrinnt. Selbst wenn wir alle Uhren anhalten, alle Kalender verstecken würden, Zeit würde doch vergehen, unaufhaltsam, gnadenlos.

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist:
Geboren werden hat seine Zeit, wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit, wie auch das Ausreißen des Gepflanzten.
Töten hat seine Zeit, wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit, wie auch das Aufbauen.
Weinen hat seine Zeit, wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit, wie auch das Tanzen.
Steine zerstreuen hat seine Zeit, wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit, wie auch das Loslassen.
Suchen hat seine Zeit, wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit, wie auch das Wegwerfen.
Zerreißen hat seine Zeit, wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit, wie auch das Reden.
Lieben hat seine Zeit, wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit, wie auch der Frieden.

~ Die Bibel: Prediger 3, 1-8

Alles hat seine Zeit oder präziser: für alles gibt es eine Zeitspanne, für alle Vorhaben den ihnen angemessenen Zeitpunkt. Denn zu der Zeit, als der Bibeltext aufgeschrieben wurde, vor 2400 Jahren irgendwo im nahen Osten, dachten und redeten Menschen anders von Zeit, hatten verschiedene Worte für ganz unterschiedliche Aspekte von dem, was wir nur mit Zeit übersetzen und bezeichnen können.

Wie gehen wir heute damit um? Wie erleben wir zum Beispiel das Älterwerden in einer Gesellschaft, die den Jugendwahn zum Kultstatus erhebt? Ist es uns eine Last und wird alles schwer, wenn viele Dinge aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr machbar sind? Werden wir hartherzig und unversöhnbar, wenn Schwächen und Unzulänglichkeiten scheinbar unser Leben bestimmen, wenn sich Gott scheinbar von uns abwendet?

Was prägt uns Jüngere – der Terminkalender oder der Wille Gottes? Warum zerstört die Angst vor „Morgen“ unser Leben, warum frisst uns dieses Bedürfnis nach planerischer Sicherheit auf? Warum arbeiten wir daran, „dazu zu gehören“ zu jenen, die Karriere machen, die scheinbar unbesorgt durchs Leben schreiten? Vermitteln wir unseren Kindern dieses „Scheinleben“ weiter, indem wir sie zu immer besseren Leistungen drängen?

Oder meinen wir jetzt, das sind ja alles Gedanken, mit denen sich die Menschen befassen, die ohne Gott leben?

Ich ahne sehr stark, dass solches Ansinnen auch uns nicht fremd ist, uns belastet und die Kraft fürs Eigentliche raubt: Alles hat seine Zeit im Leben!

Der Bibeltext ist trotz allen Nachdenkens nicht zu ergründen, er bewertet nicht einmal, er zählt nur auf. Ist das ärgerlich? Vielleicht eher befreiend. So ist das in meinem Leben, es wird nicht immer das Lachen da sein, es wird auch um mich herum Kriege geben, wir müssen Abschied nehmen und es wird auch Hass und Streit geben.

Aber in unserem todesverfallenen Leben tragen wir ein Stück Ewigkeit in uns. In unserem unvollkommenen Leben, in der Angst nicht zu schaffen, nicht anzugelangen, nicht zu genügen, tragen wir schon ein Stück der Vollkommenheit Gottes in uns.

Was wir als Schwäche und Unzulänglichkeit empfinden, können wir getrost in seine Hände legen und können gelassen damit umgehen.

Gott hat uns ein Stück Ewigkeit in unser Herz gegeben. Das ist etwas, was uns Halt bietet, ein Maßstab für unser Leben und Handeln, eine Ahnung von seiner Nähe, die wir in uns haben und eine Sehnsucht nach Gottes Wirklichkeit, die uns frei machen kann von Zwängen etwas zu verpassen ... weil Alles seine Zeit hat. Und das gilt für alt und jung!